Premierenpublikum nimmt Perdelwitz‘ Regiedebüt mit herzlichem Beifall auf / Junge Darsteller erobern die Klassik-Bühne mit Tucholskys „Schloss Gripsholm“
Koserow. Und wieder eine bemerkenswerte Neuinszenierung des Ensembles von „Klassik am Meer“! Die Berliner Schauspielerin Angelika Perdelwitz (künstlerische Mitarbeit Jürgen Kern) hat ihren Einstand als Regisseurin am Freitagabend (12.Juli) mit einem modernen, ja zeitlosen Klassiker gefeiert. Kurt Tucholskys Sommergeschichte „Schloss Gripsholm“ inszenierte sie zwischen locker-frivoler Heiterkeit und tiefer Verzagtheit. Jugendliche Schwärmerei, eine Liebesnacht zu dritt und düstere Indizien einer krisengeschüttelten deutschen Gesellschaft sorgen für ein ebenso abwechslungsreiches wie widersprüchliches Spiel. Hervorzuheben die wunderbare Piano-Begleitmusik von Andreas Peschel, die schmissigen Gassenhauer aus dem Berlin der 1920er Jahre und die verwegenen Tänze der durchweg jungen Mimen auf der gefährlich schmalen Bühne vorm Altar. Da gab es zu Recht sogar Szenenapplaus in der ausverkauften Kirche.
Erzählt werden einige wenige Liebeswochen von Daddy (Tobias Wollschläger; überzeugend seine durch die Handlung führenden Monologe) und Lydia (Christina Völz). Im schwedischen Urlaubsdomizil werden sie von Karlchen (Bravo, Jonathan Kutzner!) und Billie (Maimouna Sow) besucht. Mit sich selbst und den eigenen Lüsten befasst – eine Prise mehr Erotik wäre durchaus erlaubt – begegnen sie einem Mädchen (Lioba Paula Morkel, 14 Jahre jung und aus Koserow). Ihr ist die Angst vor Gewalt ins Gesicht geschrieben. Allerdings gelingt es Daddy und Lydia, sie schließlich von der Drangsal durch die Kinderheimleiterin, Frau Adriani (herrlich böse und verzweifelt, Simone Winde), befreien zu können.
Allein der Umstand, just in einer Zeit der Suche nach neuer deutscher „Kriegstauglichkeit“ (Minister Pistorius) Tucholsky auf den Spielplan zu setzen, verdient Respekt und Wertschätzung. Der Journalist und Pazifist, politische Aktivist und scharfzüngige Schreiber, der mit 45 Jahren aus dem Leben schied, war kein Mann des Bellizismus. Er hatte das Grauen in den Schützengräben des 1. Weltkrieges erlebt und seine Konsequenzen gezogen: Kriegslüsternheit und Heuchelei, Brutalität und Opportunismus waren seine Sache nicht. Und dennoch oder gerade deshalb bedeuteten Tucholsky Lebenshunger und die Gier nach Vergnügen so viel, dass es ihn ins paradiesisch anmutende Exil nach Schweden zog. Insofern offenbart das Spiel auf der kleinen Bühne eine Fülle von Parallelen zu seinem Leben als Schreiber, der der Gesellschaft ganz im Sinne Heinrich Heines den Spiegel vorhält. Was man darin sieht, kann durchaus Angst machen.
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