Koserower Schauspielreihe feiert 25-jähriges Bestehen / Dramaturg Jörg Mihan: Gerade in der Krise ist Theater ein Muss
Koserow. Seit einem Vierteljahrhundert ist „Klassik am Meer“ der Inbegriff für intelligentes Schauspiel. In der alten Feldsteinkirche des Bernsteinbades erlebte das kulturaffine Publikum jährlich wahre künstlerische Leckerbissen wie den „Jedermann“, den „Wilhelm Tell“ und „Warten auf Godot“. Nun kehrt das Ensemble nach Corona-Pause und gastfreundlichen Asyl in Kölpinsee mit Neuproduktionen ins Gotteshaus zurück: Molières „Der Geizige“ mit Peter Bause in der Titelrolle und ein vitaler Ringelnatz-Abend, dessen Titel lustvolles Programm ist: „Überall ist Wunderland. Überall ist Leben“.
Mit Vorfreude und Lampenfieber steuern die Proben auf die Premieren am 7. und 20. Juli hin. Doch treibt die „Meeresklassiker“ um den Gründervater und – neben Angelika Perdelwitz – diesjährigen Co-Regisseur Jürgen Kern so einiges um. Wird ihr Publikum wieder den Weg zur Bühne vorm Altar finden? Wird es möglichst vielen Gästen den Eintrittspreis wert sein, zeitloses Komödiantentum, geistreiche Unterhaltung und famoses Bühnenspiel zu erleben? Die Akteure wissen um Krisen und Krieg, Klimawandel und galoppierende Lebenskosten. Und um die verschärfte Konkurrenzsituation im Sommer auf Usedom. Viele, auch gute niedrigschwellige Angebote, manche davon kostenlos, reichen von Kleinkunst und Zirkus bis zu Transformers & Co.; ist da überhaupt die richtige Zeit für Theaterklassiker?
Dramaturg Jörg Mihan zweifelt nicht: Ja, genau jetzt. Und zwar besonders mit Blick auf die Neuproduktionen. „Beide Abende spielen und verfremden zwar mit alten Texten, aber sie tun es mit Blick auf Grundübel und Auswüchse unseres aktuellen Zusammenlebens.“ Man könne sich daher laben an den „Verrenkungen und Missgeschicken des Alltags“, und man könne darüber grübeln, „ob das alles so sein muss, wie es ist, und wie es vielleicht besser wäre.“
Für Schauspielerin Franziska Troegner, die mit Susann Uplegger und Andreas Peschel den humorvollen Ringelnatz-Abend gestaltet, sollte Kultur im weitesten Sinne für jeden Urlauber Angebote parat haben, die anspruchsvoll und - je nach Gästestruktur – passgenau daher kommen. Das könne ein Pop-Musik-Abend am Strand ebenso sein wie ein Schauspiel in der Kirche. Dazu nimmt sie Anleihe beim alten Goethe: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“
Höchste Ansprüche an sich selbst, immer wieder spezifische Überlegungen zur Relevanz des Stoffes, zu Genre und Machbarkeit und zur Frage, was passt auf die Insel, was in die Kirche und was zum Ensemble, haben dazu geführt, dass „Klassik am Meer“ ein Markenzeichen geworden ist. Künftig würde Mihan sich am liebsten eine „Insel-Urlaub-Bedürfnis-Soziologie“ wünschen. Sie sollte verlässlich Auskunft darüber geben, welchen Platz auf der Wunschliste der Einheimischen und der sich im Wandel befindlichen Touristenschar „unser Theaterprojekt weiterhin einnehmen“ und ob es sich behaupten könne.
Ein harter Wettbewerb ist im Gange: Wer gewinnt was? Und wen? Für die Usedomer Klassik-Legende Jürgen Kern dreht sich dabei auch in Zukunft vieles, wenn nicht alles um die Auswahl der Stücke, die Qualität der Inszenierungen und die hohe Schauspielkunst der Mimen. Das sei der erfolgversprechende Weg, das Publikum auch künftig zu begeistern. Ein Vierteljahrhundert Kirchenbühnen-Erfahrung spricht dafür.
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